Duisburg-Marxloh oder Schwelgern ist ein Tunwort

Der Hauptbahnhof ist bereits Peripherie. Ein Zentrum mag es geben, sehen lässt es sich nicht. Erster Eindruck: Hier war etwas einmal Zukunft, bevor es vergessen wurde. Leere Gänge, leere Rolltreppen, die wenigen Leute stehen weit auseinander, wohlverteilt wie die Häuser. Mehr Platz, als gebraucht wird, und man denkt an Worte wie ‚großzügig’ und ‚licht’ und sogar ‚Amerika’. In der U-Bahn, die eigentlich keine ist und dies auch bald zeigt, stille Gesichter, müde wie nach schweren, schon lange zurückliegenden Kämpfen, nicht unbedingt verloren, aber eigentlich soll ja Samstag sein und niemandem ist es anzusehen. Ein Schleier liege hier über allen, wird jemand sagen. Vielleicht. Als wir nach draußen kommen, hat es aufgeklart: Metallsonne, Metallwolken, im Norden blauer Himmel. Die Fensterscheibe ist eingetrübt, der Beton hell, silbrige Luft, dazu passt, dass es hier Elstern gibt und die Leute Bier aus Dosen trinken. Die Farben des größten Fußballvereins der Stadt sind blau-weiß, und etwas anderes wäre auch gar nicht erst denkbar. Trotz Schleier und bedeckter Scheiben herrschen Klarheit und Frische. Eine Schönheit, die einen fordert, gibt es hier nicht, keine Blicke, die was wollen, keine Namen, kein Vergleich. Hier-Sein ist Korrektur. Die Verhältnisse zeigen sich. Sollen andere ihre Sozialreportagen machen, Brautmodegeschäft an Brautmodegeschäft filmen, Wörter aus ihrem Anderswo auf Köpfe und Häuser kleben, weiterziehen.

Als das fette Stahlrohr über der Straße auftaucht – Steigerung der Wirklichkeit. Riesenhallen, Riesenschlote, die Ornamente in einem beginnen zu schlackern. Etwas dröhnt aus der Ferne, tiefes, verlangsamtes Wummern, ein Pfiff, Alarm, und lautlos explodiert ein Turm. Zu den Wolken am Himmel kommt eine weitere, genausogroße, als sie weg ist, explodiert der Turm erneut, hinter Kesseln, Rohren, winzigen Bäumen, tausend Meter näher. Es beginnt hier kein neuer Stadtteil, es beginnt eine Zone – links und rechts der Straße Mauer, dahinter Schütten, Flammen, und wieder Alarm. Die Sonne lässt jetzt keinen Schatten mehr, nicht den Laternen, nicht den Autos, nicht den Sichhierumsehenden. Als sie zu einer Brücke kommen, fährt ein Zug drunter durch beladen mit Lava, ein zweiter ihm entgegen, gleichfalls aus Wagen wie Wale, aus deren Löchern es glüht. Sie fahren in verschiedene Teile der Zone, zurück bleibt ein rotes Kabriolett mit geschlossenem Verdeck in rostiger Landschaft.

Der Erde wird Gewalt angetan, die Urzeit wird verbrannt. Von Näherem sehen die Türme aus wie mit Holzstöckchen gesteckt, ein japanischer Schrein, der sanft Wolken gebiert. Und dann: der Rhein. Fläche in der Fläche, und wieder: silbern wie Bierdosenblech. Der Blick auf ihn impressionistisch, als wäre Frühling mit lauter Pappeln. Leichtes, leises Dahinfließen, als könnte man sich auf ihn stellen und gleiten. Der Flussgott, ein Schleicher, der um die Öfen leckt, jeden Moment bereit, durch sie in den Himmel zu fahren. Und am Schluss? Das Bild des nochmaligen Aufragens der Schlote in der Sichtachse der Straße der Brautkleider.

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