Den echten Leser

Daniil Charms’ Fälle in der Kellerfensternische gegenüber der Bar, in der sie Heidelberg nicht mögen, wie ein Zeichen – die Linksintellektuellen gehen. Sogleich das Bild von anderen Nischen, noch unverputzten, in denen ganze Stapel stehen mit Bänden Sinn und Form darin. An Kartons, in denen alte rororos liegen geblieben sind, schwarz-rot, 42 Zeilen die Seite und in der Mitte irgendwo Werbung. Oder, mit weißen Linien auf schwarzem Grund, Universal Bibliothek Reclam Leipzig, nicht zu verwechseln mit den ebenfalls schwarzen, ebenfalls in Kisten und Hauseingängen abgelegten Spektrum-Bänden, darunter gefühlt fast immer Jean Genet und Pynchon – Die Versteigerung von No. 49. Im einstigen anderen Teil der Stadt mögen es die schwarzgelben detebe-Krimis sein und die suhrkamp taschenbücher in ihrem rauhen Gelb, Grün, Braun, Blau, Rot, mit damals schon blassen Autorenfotos und Kugelschreibernotizen am Rand und Widmungen, in denen die Us noch gekennzeichnet sind mit einem Strich. Sie liegen da wie stolze Bettler, allein oder angehäuft zu Wegmarken, darauf wartend, dass einer, der noch etwas von ihnen versteht, auf sie stoßen möge und die Richtung für sie, ein wenig wenigstens, verändern. Jemand, der bereit ist, noch einmal mit- und durchzudenken mit jener Ernsthaftigkeit von einst oder einer neuen, und fragt, wer das gewesen sein mag, der hier geglaubt, gelesen, angemerkt, mit Lineal unterstrichen hat, bedacht von „… in Freundschaft, Deine Ingrid, 22.6.1983“. Einer, der etwas spürt von den Bedeutungen, die den Wörtern hinzugeschrieben sind durch den Gebrauch, den Geruch, die Kaffeeflecken und Falten, und von den Gesprächen und den Orten und der Gemeinschaft, in die hinein er sich nach-lesend begibt.

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